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Lean Innovation – Wie wertorientiert ist Ihr Innovationsmanagement?


Lean Thinking beschreibt die Fokussierung auf echte Wertschöpfung und die Vermeidung von Verschwendung als obersten Grundsatz.[1] Dieses Verständnis für Wertgenerierung aus Kundensicht ist für das Innovationsmanagement im Unternehmen besonders entscheidend, aber gerade dort heute noch drastisch unterrepräsentiert. Ziel von Lean Innovation ist es, die Grundsätze des Lean Thinking auf das Innovationsmanagement systematisch zu übertragen. Bislang wurde dieser Übertrag in ersten Ansätzen begonnen, aber keineswegs systematisch vollzogen.[2] Entsprechend zeigt eine Befragung des WZL an der RWTH Aachen unter 143 produzierenden Unternehmen in Deutschland, dass erst ein Drittel überhaupt begonnen hat, eine systematische Identifikation von Verschwendung in der Produktentwicklung durchzuführen.[3] Lean Innovation befindet sich heute „auf dem Weg zur Systematik“.
Die Lean Innovation-Systematik des WZL an der RWTH Aachen beruht auf zwölf Prinzipien (siehe Abbildung).
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Die 12 Prinzipien im Überblick




Abbildung: Die 12 Prinzipien der Lean Innovation-Systematik des WZL

Eindeutig Priorisieren

Die eindeutige Priorisierung ist die „Inkarnation“ der Wertorientierung im Innovationsmanagement: Wer seine Innovationsressourcen nicht strategisch richtig priorisiert, gelangt bestenfalls zufällig zum Markterfolg – unabhängig davon, wie effizient die Prozesse sind.

  1. Strategische Erfolgspositionierung: Eine wirksame Innovationsstrategie sorgt für den proaktiven Aufbau verteidigbarer strategischer Erfolgspositionen (SEP) durch das Innovationsmanagement. Bei einer SEP handelt es sich um den bewussten Aufbau von wichtigen und dominanten Fähigkeiten. Strategische Erfolgspositionen bilden die Voraussetzung, um echte Wettbewerbsüberlegenheit und langfristig überdurchschnittliche Ergebnisse zu erreichen.
  1. Klare Hierarchisierung: Die einfache Kommunizierbarkeit des Vorteils eines Produktes ist Ausgangspunkt einer Innovation. Im Wertesystem werden die Wertvorstellungen der „Bedürfnisträger“ erfasst und transparent strukturiert. Oft führen im Lastenheft versteckte Zielkonflikte zu einer Verschwendung von Entwicklungsleistung. Deswegen werden Projektziele eindeutig hierarchisiert, um Zielkonflikte in Innovationsprojekten zu erkennen. Nicht zielführende Widersprüche im Zielsystem werden strategisch richtig aufgelöst.
  1. Roadmapping: Technologie- und Produktplanung erfolgen in einem längerfristigen Roadmapping-Prozess und mit einer hohen Konsequenz unabhängig von der kurzfristigen Zyklizität der Märkte. Mit einer systematischen Technologiefrüherkennung werden neue Felder frühzeitig und kundenorientiert erschlossen. Die Technologieplanung fokussiert die Technologieressourcen auf wenige, wesentliche Handlungsfelder. So wird Verschwendung durch unfokussierte Technologieentwicklung nach dem Gießkannenprinzip vermieden. Die Produktplanung resultiert aus einem systematisch geführten Ideenfindungs- und Ideenbewertungsprozess, der mit der Technologieplanung eng synchronisiert wird.

Früh Strukturieren

Die Frühe Strukturierung setzt ein effektives Frontloading um, indem die Leitplanken für eine wertorientierte Produktgestaltung definiert werden. Es gilt, die Verursachung von Verschwendung im Projekt, aber vor allem auch in nachgelagerten Wertschöpfungsstufen bereits in frühen Phasen auszuschließen.

  1. Produktarchitekturgestaltung: Die systematische Produktarchitekturgestaltung ist Voraussetzung für die Erschließung hoher Skaleneffekte trotz immer individuellerer Produkte. Durch die Modellierung von Funktionen und Technologien werden Synergien auf Produkt- und Prozessebene unternehmensweit erschlossen. Eine zeitgemäße Produktarchitektur umfasst derartige Funktions- und Technologiemodelle und erschließt Kommunalitäten im gesamten Produktspektrum auf unterschiedlichen Ebenen – z. B. durch Gleichteile, Auslegungsstandards oder fixierte Prozessfolgen in der Produktion. Verschwendung durch verpasste Chancen zur Nutzung von Skaleneffekten lässt sich bei konsequenter Umsetzung so vermeiden.
  1. Sortimentsoptimierung: Zunehmende Produktvielfalt führt zu Verschwendung durch einen Mangel an Transparenz über Kosten und Nutzen produktseitiger Komplexität. Durch die Klassifizierung von Produktmerkmalen nach Kundennutzen und verursachungsgerechten Komplexitätskosten lässt sich die marktseitige Produktvarianz im Hinblick auf Verschwendung durch überbordene Komplexität ohne adäquaten Kundennutzen einfach bewerten.
  1. Lösungsraum-Steuerung: Für überlegenen Produkterfolg bei geringer Time-to-Market ist die Steuerung des Lösungsraumes entscheidend, um Iterationen zu vermeiden. Eine wirksame Lösungsraum-Steuerung definiert transparente Freiheitsgrade für jede Innovationsaufgabe. Den so definierten Lösungsraum gilt es vollständig zu bewerten. Gruppen alternativer Lösungsmöglichkeiten, sogenannte Design-Sets, werden teils redundant weiterverfolgt, bis eine sichere Entscheidungsgrundlage gegeben ist.

Einfach Synchronisieren

Das Zusammenspiel der an einem Innovationsprojekt beteiligten Disziplinen gleicht einem Sinfonieorchester: Zahlreiche Experten und Künstler arbeiten zeitgleich zusammen, aber nur durch die perfekte Synchronisation entsteht ein Kunstwerk – es zählt die Fähigkeit zum Einfachen Synchronisieren aller am Projekt Beteiligten.

  1. Wertstromoptimierung: Der durchgängige Wertstrom von Innovationsprozessen wird hauptsächlich durch Wartezeiten und Rückschleifen unterbrochen. Die Optimierung des Wertstroms basiert auf der Unterscheidung von kreativen und repetitiven Prozessen. Für administrative Prozesse werden „Successful Practice“-Ansätze standardisiert, für kreative Prozesse werden transparente Zielgrößen und konkrete Handlungsspielräume definiert – der Schlüssel zur Vermeidung von Verschwendung ist die an den Prozesscharakter angepasste Standardisierung.
  1. Datenkonsistenz: Die Grundlage für synchrone Innovationsprozesse ist eine konsistente Datenbasis. Verschwendung von Entwicklungskapazität durch unvollständige oder falsche Informationen wird so vermieden und Verschwendung durch nicht direkt wertschöpfende Stützleistungen wie Such- und Anpassungsaufwände signifikant reduziert. Product Lifecycle Management stellt Prozesse, Methoden und Werkzeuge bereit, um Produktinformationen in der richtigen Zeit und Qualität am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen.
  1. Taktung: Durch die konsequente Trennung von Projekt- und Prozesssteuerung wird die Planungs- und Termintreue des Innovationsmanagements erheblich gesteigert und Kapazitätsspitzen werden erfolgreich geglättet. Die Projektsteuerung sorgt für die transparente Umsetzung der Projektstruktur-, Ressourcen- und Meilensteinplanung. Innerhalb der Projektsteuerung laufen standardisierte Prozesse ab, die durch bedarfsgerechte Takte einfach planbar und synchronisierbar gemacht werden.

Sicher Adaptieren

Lean Innovation erfordert Wandlungsfähigkeit des Innovationsmanagements: Sicheres Adaptieren beschreibt die zielorientierte Weiterentwicklung von Produkten und Prozessen in Hinblick auf erkannte Verbesserungspotenziale.

  1. Innovationscontrolling: Das Innovationscontrolling dient dazu, die an den Innovationsprozessen beteiligten Personen zur selbständigen Verbesserung zu befähigen. Dazu sind im Prozess transparente, messbare Zielgrößen und kurze Feedbackschleifen über das erzielte Resultat erforderlich. Verschwendung von Innovationsressourcen durch Unklarheit von Zielvorgaben und von tatsächlicher Zielerreichung wird so vermieden.
  1. Release-Engineering: Komplexe Produkte weisen häufig Funktionalitäten und Baugruppen mit stark unterschiedlichen Lebenszyklen auf. Ohne Produkt-Releases ist es praktisch nicht möglich, insbesondere Produkte mit längeren Lebenszyklen aus Kundensicht dauerhaft „frisch“ erscheinen zu lassen. Ungeplante Release-Zyklen führen hingegen schnell zu Verschwendung durch unnötig hohe Komplexität in der gesamten Prozesskette. Ziel des Release-Engineerings ist es daher, die Lebenszyklen einzelner Produktfunktionen so zu steuern, dass das Produkt aus Kundensicht dauerhaft zeitgemäß erscheint. Die Release-Planung ist die methodische Schnittstelle zwischen der Produktstrukturierung und dem Lifecycle-Management.
  1. Stetige Verbesserung: Die stetige Verbesserung wird für Lean Innovation anhand von 5 Stufen im Innovationsreifegrad-Modell beschrieben. Das Reifegrad-Modell beschreibt, wie sich über die Veränderung von Strukturen und Verhaltensweisen die Wirksamkeit der Lean Innovation-Prinzipien kontinuierlich erhöhen lässt. Besonders wichtig für die stetige Verbesserung ist die Arbeit mit Idealzuständen und daraus abgeleiteten Zielzuständen, die für alle Mitarbeiter als Orientierung dienen.

Aber erst die Motivation der Mitarbeiter ermöglicht eine überlegene Innovationsproduktivität. Lean Innovation – die verschwendungsfreie und wertorientierte Umsetzung von Produktinnovation – lässt sich methodisch nur umsetzen, wenn die richtigen Rahmenbedingungen zu Motivation und Entwicklung der Mitarbeiter gegeben sind. Dabei steht die Produktidentifikation im Mittelpunkt. Sie definiert sich als das Maß der emotionalen Bindung und Begeisterung für das Produkt, in dessen direktem Umfeld man arbeitet. Während die emotionale Bindung an das Produkt von Marketing-Bereichen vor allem mit Außenwirkung betrieben wird, entfaltet sie ihr Potenzial zur Erhöhung der Innovationsproduktivität vor allem nach innen. Es gilt, das eigene Produkt „emotional aufzuladen“, um den pro Zeiteinheit erreichbaren Innovationsgrad zu maximieren.

Literatur
  1. Womack, J.; Jones, D.: Lean Thinking – Ballast abwerfen, Unternehmensgewinne steigern. Campus-Verlag, New York, 2004, S. 8
  2. Schuh, G.: Lean Innovation – Die Handlungsanleitung. In: Schuh, G.; Wiegand, B. (Hrsg.): 4. Lean Management Summit – Aachener Management Tage, Apprimus-Verlag Aachen, 2007, S. 7
  3. Schuh, G.; Lenders, M.; Schöning, S.: Mit Lean Innovation zu mehr Erfolg – Ergebnisse der Erhebung. Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen, 2007, S. 3


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